„Partizipation kann nicht provoziert werden.“ (2007)

Email-Interview mit Thomas Hirschhorn von Sebastian Egenhofer, geführt von 14.-23.9. 2007.

Frage: Du machst deine Arbeit nicht allein. Sie ist eher als gefrässige Maschine konzipiert, die viel fremdes Material integriert. Die Integration kann von der Geste der konzentrierten Hinwendung zu einem Autor reichen wie in den Kiosken, Altären und Monumenten – bis zur Aneignung von künstlerischem Text- und Bildmaterial, das du verwendest wie Pappe und Medienbilder (so zuletzt die „Heilbilder” von Emma Kunz in Superficial Engagement). Du machst deine Arbeit so zum Schauplatz für das Werk anderer, integrierst aber auch die „energetische Ladung” dieser fremden Werke in deine eigene Produktion. Da die Autoren tot sind, wird man das nicht Partizipation nennen. Aber es ist der Rahmen, in dem ich nach den Modi von Zusammenarbeit und Mitarbeit fragen will.

Ich möchte drei Ebenen unterscheiden. Die basale und wenig thematisierte ist die der materiellen Produktion deiner Arbeiten, die zum großen Teil von Mitarbeitern im Studio hergestellt werden. Diese bleiben anonym. Du bestehst auf deiner alleinigen Autorschaft. Eine zweite Ebene wäre die der Zusammenarbeit mit Philosophen und Schriftstellern wie Marcus Steinweg oder Manuel Joseph, die (in verschiedenen Graden) als Koautoren von Arbeiten präsent bleiben. Drittens hast du bei einigen großen Projekten wie dem Bataille-Monument in Kassel (2002) und dem Musée Précaire Albinet (Aubervilliers, 2004) mit den Anwohnern, vor allem mit Jugendlichen zusammengearbeitet. Hier kommen die Momente ins Spiel, die im Zusammenhang mit dem Konzept der Partizipation meistens diskutiert werden und auf die wir später genauer eingehen können. Ich nenne nur die Frage nach der Funktion der sozialen Spannung für den Werkprozess.

Ich will zuerst fragen:

Welche Motivation und welche Notwendigkeit haben diese verschiedenartigen Einschlüsse fremder Arbeitskraft in deine Prouduktion? Wie ist ihre Geschichte? Seit wann hast Du Mitarbeiter? Wie ist es zu der Kollaboration mit anderen Autoren und zur Partizipation im engeren Sinn (Partipiation mit Anwohnern, Jugendlichen) gekommen?

 

Antwort: Ich will, wie alle Künstler, dass man sich mit meiner Arbeit auseinandersetzt und dass man mit meiner Arbeit in einen Dialog tritt. Ich weiss, dass ich als Künstler die Konditionen schaffen muss für eine direkte Konfrontation mit meinem Kunstwerk. Das ist meine Arbeit und das ist mein Problem als Künstler. Die Fragen, die ich mir stelle sind: Schaffe ich es, einen direkten Dialog oder eine Eins-zu-Eins Auseinandersetzung durch mein Kunstwerk herzustellen? Schaffe ich das – ohne Vermittlung, ohne Kommunikation und ohne Erklärung? Erreiche ich, dass der Betrachter sich in meine Arbeit impliziert? Habe ich in meine Arbeit die notwendigen Öffnungen geschnitten, die es dem Betrachter erlauben, in sie einzutreten? Ich will mit meiner Arbeit einschliessen und niemanden ausschliessen und ich will für ein nicht-exklusives Publikum arbeiten. Partizipation kann in der Kunst nie ein Ziel oder eine Vorgabe sein, Partizipation kann entstehen, wenn das Kunstwerk Raum und Platz für den Betrachter lässt, und Partizipation entsteht, wenn ich, der Künstler, in meinem Werk, durch mein Werk etwas gebe, wenn ich etwas von mir gebe. Denn nur, wenn ich von meinem Eigenen etwas gebe, entsteht die Möglichkeit für den Andern, auch etwas zu geben oder zu schenken.

Der Begriff Partizipation darf kein Modebegriff sein, und ich weiss nicht, was der Begriff “Partizipative Kunst” bedeuten soll. Wer im Museum ein Bild von Mondrian betrachtet, kann partizipieren. Seine Partizipation kann auf der Höhe dessen sein, wie es der Künstler in seinem Bild vorgegeben hat. Das Partizipieren kann auf den unterschiedlichsten Ebenen stattfinden, es ist das Geheimnis zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter, es ist das Wunderbare in der Kunst. Nur ist diese Partizipation nicht messbar und nicht sichtbar. Wenn etwas sichtbar oder messbar sein muss in der Kunst, um als “Partizipative Kunst” zu gelten, geht es bloss um Interaktivität und um “Kunst die funktioniert”. Kunst ist aber – wenn es Kunst ist – nicht interaktiv, sondern aktiv. In der Kunst kann etwas bestehen, was nicht funktioniert und was vielleicht gerade deshalb zur Auseinandersetzung auffordert und demnach zum Nachdenken zwingt. Die Aktivität des Denkens ist das Schönste, was das Kunstwerk erreichen kann.

Ganz allgemein geht es mir in meiner Arbeit als Künstler nicht darum, die Begriffe “Partizipation”, “Autorschaft” oder “Mitarbeit” zu klären. Vielmehr geht es mir darum, meine Arbeit zu machen und darin die Frage zu beantworten: Bin ich fähig mit meiner Arbeit ein Ereignis zu schaffen? Bin ich fähig, durch meine Arbeit den Anderen kennen zu lernen? Bin ich fähig, den Anderen durch meine Arbeit einzuschliessen?

 

Zu deinen drei Fragen: Ich arbeite seit etwa zehn Jahren mit Assistenten. Mit Assistenten zu arbeiten ist keine Notwendigkeit, aber es hilft mir meine Arbeit schneller auszuführen. Es ist so, dass an einem bestimmten Punkt die Möglichkeit besteht, mehr Ausstellungen zu machen, und gleichzeitig ist die Möglichkeit da, Produktionskosten dafür zu erhalten. Somit kann ich meine Arbeit mit der Hilfe von Assistenten machen. Dazu kommt, dass die administrative Belastung für mich als produzierendem Künstler ohne Hilfe in diesem Bereich sehr gross ist. Assistenten helfen mir deshalb meine Arbeit zu machen, sie sind eine sehr wichtige Hilfe. Es ist so, wie wenn ich vier oder oder acht oder zwölf Arme und Beine hätte. Ich habe aber weiterhin nur einen Kopf und ein Herz. Mit Assistenten zu arbeiten heisst, sich ausführend, technisch und organisatorisch helfen zu lassen. Mit Assistenten zu arbeiten bringt weiter mit sich, mehr Zeit zu haben, um Entscheidungen zu fällen. Diese Entscheidungen muss ich aber selbst fällen. Ich frage denn auch meine Assistenten nicht um Rat, denn ich weiss, sie können mir auch nicht helfen, meine künstlerische Entscheidungen zu fällen. Ein Assistent soll eine Hilfe sein, so frage ich auch einen Assistenten nicht, eine Arbeit für mich auszuführen, die ich selber nicht machen könnte. Denn ich will, dass mit Assistenten zu arbeiten, keine Notwendigkeit ist. In meiner Arbeit als Künstler darf ich nicht abhängig sein von der Arbeit meiner Assistenten.

Zur Zusammenarbeit mit Schriftstellern und Philosophen ist es aus Freundschaft gekommen. Meine Freunde sind Schriftsteller und Philosophen. Ich interessiere mich für das, was sie machen, und ich glaube an die Freundschaft zwischen Kunst und Philosophie. Ich denke, dass Kunst und Philosophie in ungeteilter Verantwortung zueinander stehen. Kunst und Philosophie wollen Wahrheit schaffen. Das verbindet sie und kann zu Freundschaft und zum Verständnis führen. Es ist das Formgeben – oder der Versuch Form zu geben – der Kunst und Philosophie befreundet. Diese Freunschaft – über das Verstehen hinaus – brachte mich dazu, meine Freunde, Philosophen und Schriftsteller, anzufragen, mir Text-Material zur Verfügung zu stellen. Material, dass ich – wie anderes Material (Karton, Holz, Plexiglas, Papier, Plastik, Aluminiumfolie, Klebeband) für meine Arbeit benutze. Es ist also nicht eine eigentliche Zusammenarbeit, sondern es ist Produktion oder Überlassen von Material, das ich in meine Arbeit integriere. Weil Freundschaft der Antrieb dafür ist, gibt es keine Vorgaben, keine Grenzen, keine Themenbestimmung. Es gibt auch keine Abstimmungen in inhaltlicher Richtung, denn ich will die Arbeit meiner Freunde so, wie sie sie machen. Das heisst, ich will frei sein mit ihrer Arbeit und ich will, dass sie frei sind mit meiner Arbeit. So integriere ich dann in meine Arbeit das Material, das ich erhalte, ohne das zu diskutieren. Ich übernehme die Verantwortung für das Text-Material und der Schriftsteller oder Philosoph übernimmt die Verantwortung dafür, was ich – der Künstler – mit dem Text mache. Das ist ungeteilte Verantwortung.

Meinen Arbeiten im Öffentlichen Raum sind keine partizipativen Kunst-Projekte und ich mache keine “Partizipative Kunst”. Partizipation kann nicht provoziert werden und es kann auch nicht dazu verführt werden. Niemand soll animiert oder zum Partizipieren motiviert werden. Es ist auf jeden Fall nicht das Ziel meiner Arbeiten. Natürlich freut es mich sehr, dass Anwohner, Besucher und Passanten sich in meiner Arbeit eingeschlossen fühlen, sich mit meiner Arbeit engagieren, dass sie sich die Arbeit aneignen und dass sie sie verteidigen. Was mich am meisten freut, ist, wenn jemand sagt: Es ist unsere Arbeit, es ist unser Projekt!

Ich denke, Partizipation kann kein Kriterium und keine Bedingung für die Kunst sein. Partizipation ist ein mögliches Resultat von Kunst. Ich gehe von einer Behauptung aus: Dass Kunst im Öffentlichen Raum keinen idealen Platz kennt, dass mit Kunst im Öffentlichen Raum die Autonomie der Kunst verteidigt werden muss und dass Kunst im Öffentlichen Raum nie ein totaler Erfolg, aber auch nie ein totaler Misserfolg ist. Und dass es darum geht, eine Erfahrung zu machen, eine gemeinsame Erfahrung mit den Anwohnern, den Besuchern, den Passanten und dem Künstler.

Ich denke, dass Partizipation ein Geschenk ist, eine Gabe. Es ist eine Gabe im Sinn eines Potlach: Ich muss zuerst etwas geben und damit den Anderen herausfordern zu geben, mehr zu geben! Bei meinen jüngeren Projekten habe ich deshalb das Arbeitsprinzip der “Präsenz” und der “Produktion” angewendet. Das Prinzip ist: Ich, der Künstler, bin präsent und ich, der Künstler, produziere etwas vor Ort. Ich wollte, dass Präsenz und Produktion – als meine Gabe – die Voraussetzung sind, um im Öffentlichen Raum mit der Realität zu co-operieren. Ich muss co-operieren, weil ich etwas verändern will. Diese Co-operation im Öffentlichen Raum ermöglicht es, in Kontakt mit dem Andern zu treten. Ohne ihn zu belehren, ohne Frieden stiften zu wollen und ohne etwas beruhigen zu wollen. Sich der Härte und der Schönheit der Bedingungen im Öffentlichen Raum auszusetzen, ist Voraussetzung, um einverstanden zu sein mit dem Öffentlichen Raum, mit seiner Unwahrheit, seinen Meinungen und seinen Fakten. Ich muss damit einverstanden sein – ohne sie gutzuheissen zu müssen. Und dieses einverstanden sein, meinerseits, diese Gabe meinerseits ermöglicht es dem Anderen sich in meine Arbeit eingeschlossen zu fühlen und sich darin zu implizieren.

Weil ich aber – im Öffentlichen Raum mehr noch als im Museum oder in der Galerie – meine Arbeit nicht alleine machen kann, muss ich um Hilfe bitten. Diese Hilfe oder Gabe kann von den Anwohnern, den Besuchern, den Passanten kommen, wenn sie sehen, dass ich im gleichen Raum wie sie für meine Arbeit, für mein Projekt kämpfe, dass ich präsent bin, dass ich mich investiere und dass ich etwas produziere. Dann kann Partizipation als Geschenk oder Gabe der Anwohner entstehen. Dann kann mir – dem Künstler – geholfen werden. Und dann kann es dazu kommen, dass mein Vorschlag eingelöst wird. Er hiess bei Projektbeginn: Ich habe ein Kunst-Projekt, ich möchte dieses Kunstwerk hier – mit euch, bei euch – machen. Ich weiss, ich kann euch damit keine Hilfe bringen, vielmehr brauche ich eure Hilfe, um mein Kunstwerk zu machen.

 

Frage: Diese Hilfe betraf in Kassel, beim Bataille-Monument, konkret den Aufbau und dann den „Betrieb” der Arbeit. Fernsehstudio, Fahrdienst, Imbiss, Bibliothek waren auf (bezahlte) Mitarbeiter angewiesen. In Aubervilliers beim Musée Précaire haben die Anwohner in ähnlicher Weise beim Aufbau und als Aufsichten usw. mitgearbeitet, so dass auch eine Unterscheidung zwischen den Mitarbeitenden und dem lokalen Publikum besteht. Die Mitarbeit war jeweils nötig für die materielle Existenz der Arbeit, sofern sie nicht nur deine Präsenz als Produzent und „Hausmeister”, sondern mehrere Produzenten und Hausmeister brauchte. Ist aber nicht für die Funktion dieser Arbeiten als Kunstwerk auch die Spannung wesentlich, die zwischen den „unbezahlbaren” Originalen von Warhol oder Malewitsch (im Musée précaire) und der oft schwierigen sozialen und ökonomischen Realität der Anwohner und Mitarbeiter besteht? Gehört nicht eine gewisse Dramatik der Konfrontation zur Funktion der Arbeiten hinzu? Könntest Du so etwas, wie diese beiden Arbeiten – aber auch z.B. das Deleuze-Monument – auch in einem gehobenen Mittelklasse-Vorort machen? Falls nicht (wie es mir scheint), kannst du genau sagen: warum?


Antwort: Ich arbeite nicht mit Randgruppen, für eine Zielgruppe oder für irgendeine bestimmte Audienz. Ich mache keine Kontext-Kunst und ich bin kein Ethnologe oder Sozial-Forscher. Auch bin ich kein Sozialarbeiter, ich bin Künstler und es ist wirklich so, dass ich an das Prinzip der Gleichheit glaube, und es ist auch so, dass ich glaube, dass Kunst – als Kunst – etwas verändern kann. Ich glaube zudem an die Universalität der Kunst. Deshalb arbeite ich, das ist mein Antrieb. Wenn ich Zweifel hätte, dass Kunst, meine Kunst etwas verändert, oder glauben würde, dass sie nur für ein initiiertes Publikum ist, so würde ich nicht weiterarbeiten, denn das wäre Zynismus. Nur lehne ich auch – seit Jahren – einen gewissen institutionalisierten Zynismus in der Kunst ab. Es ist diese überlegene Distanz jener, die die Übersicht behalten wollen und darum zum Zynismus greifen, und es ist der Zynismus, der vom schlechten Gewissens diktiert wird. Dann bin ich bin lieber der Dumme, der noch dranglaubt. Ich vertraue immer noch drauf, dass die Kunst – gerade weil es Kunst ist – die Möglichkeit hat, von einem Nicht-Exklusiven Publikum verstanden zu werden. Das ist für mich etwas Grundsätzliches, die Nicht-Exklusive Audienz, es ist eine Behauptung an der ich absolut festhalte. Aber ich will in meiner Arbeit dieser Behauptung Form geben, ich will diese Behauptung mit der Realität konfrontieren, deshalb schliesst sie von sich die Frage nach einem anderen Vorort (einem Mittelklasse-Vorort) aus. Denn wenn ich als Künstler im Öffentlichen Raum interveniere, habe ich die Wahl des Ortes, das ist eine ganz wichtige Entscheidung und weil es eine Entscheidung ist, eine politische Entscheidung – und eben keine Wahl oder Auswahl –, so ergibt sich total die Antwort auf die Frage des anderen Standortes. Die Entscheidung des Standortes ist Teil der künstlerischen Arbeit, es ist ein sehr wichtiger Teil, nämlich eine bewusste Setzung, es geht nicht um Meinungs-Forschung. Bei einem roten Bild eines abstrakten Malers kommt mir auch nicht die Frage: wie wäre es, wenn das Bild blau wäre? Natürlich ist es so, dass bei der so wichtigen Entscheidung für einen Standort des Kunstwerks viele Überlegungen eine Rolle spielen, aber zuletzt und wirklich etscheidend ist der Instinkt, der künstlerische Instinkt und es ist notwendig, kopflos zu entscheiden. Denn es gibt den idealen Ort nicht für die Kunst (übrigens auch nicht im Museum, in der Galerie oder im Haus eines Sammlers). Einen Standort für ein Kunstprojekt im Öffentlichen Raum zu bestimmen, kann ich nur in einer Situation der Not und Gefahr. So war es bei allen meinen Projekten im Öffentlichen Raum (ich habe über 50 gemacht). Es kann keine rein rationale Überlegung sein – es ist schon Kunst – und ich muss allen meinen Mut und alle meine Sinne mobilisieren, um die Entscheidung zu treffen, die sich dann als die Richtige beweist durch die Arbeit. Das ist das Wundervolle, Geheimisvolle, das Extreme, das was du als Dramatik und Spannung beschreibst. Aber es ist nicht so, dass ich mir sage: ich will eine dramatische oder spannende Situation, sondern – wenn ich meine Arbeit als Künstler ernst nehme, mit meiner Ambition für die Kunst (Gleichheit, Universalität, an Kunst glauben, Kunst die etwas verändern will, das Nicht-Exklusive Publikum) –, dann ist Konfrontation unausweichlich. Konfrontation ist nicht das Ziel, aber ich weiss, ich komme nicht darum herum, wenn ich es wirklich wissen will. Und ich will es, denn der Öffentliche Raum ist der Raum der Unwahrheit, der Meinungen, der Fakten und das Formlose. Der Öffentliche Raum hat andere Ziele als Kunst, Kunst die Wahrheit schaffen will, die universelle Wahrheit schaffen will durch eine Form. Und deswegen ist Kunst im Öffentlichen Raum eine Konfrontation. Ich habe mich nie vor dieser Konfrontation gescheut, denn ich weiss, es ist gerade das – was manche als das Dumme bezeichnen würden –, was mir hilft, dass diese Konfrontation zu Momenten des Glücks und der Grazie führen. Denn ich bin nicht dumm, sondern ich muss kopflos handeln!

Frage: Die Entscheidung über den Standort ist also eine Frage der Form? Und sie ist dennoch eine politische Entscheidung, wie du sagst. Also ist die Form politisch. Sie konstituiert sich im Bezug zur Nicht-Kunst, zum Außen, das unter anderem der “Ort” ist, aber eigentlich die “Welt” selbst. Die Spannung zum Formlosen, Unkontrollierbaren gehört der Form zu. Du bist also ebenso Formalist wie Antiformalist. Was bedeutet das für den Begriff der Partizipation, den du bejahst, also des Denkens, das das Kunstwerk als Kunstwerk auslösen oder fordern kann? Wie steht diese “rezipierende” Partizipation zur Mitarbeit im engeren Sinn? Gehören die “Partizipierenden” im engeren Sinn zur Form des Werks – sofern die Form des Werks seine Grenze ist? Oder besteht zwischen der Mitarbeit und der anschauenden und denkenden Rezeption gar kein prinzipieller Unterschied, sofern beide diesseits der Form, aber als “Koproduzenten” dieser Grenze im Werkprozess impliziert bleiben?

 

Anwort: Ja, alles, absolut alles, in der Kunst ist eine Frage der Form. Das ist das Schöne aber auch das so Schwierige beim Kunst machen, denn die Frage stellt sich an mich: Ist meine Form fähig eine universelle Wahrheit zu schaffen? und: Widersteht meine Form den kulturellen Gewohnheiten? und: Schafft es meine Form den Anderen einzuschliessen? Wenn meine Form, meine Arbeit, meine Kunst das schafft, dann heisst das “politisch arbeiten”. “Politisch arbeiten” heisst, den Mut haben, eine Form zu geben, sie zu behaupten und sie zu verteidigen. Diese Form muss, um ihre Autonomie bewahren zu können, überall, an allen Orten kämpfen. Kunst machen – Du hast es herausgeschält mit dem Bezug zum “Ort” – heisst für mich von dem Gedanken der “einen Welt” auszugehen. Ich will die mich umgebende Welt, als meine Welt, als unsere Welt und vor allem als die “eine Welt” verstehen. Darin will ich meine Arbeit setzen, gegen Partikularitäten, Randgruppen und Nischen. Ich will fur meine Arbeit den Gedanken der Universalität hochhalten und ich will immer meine Arbeit danach überprüfen, ob sie Universalität zulässt, Universalität ist für mich ein wichtiges Kriterium. Deshalb ist die Form wichtig, denn nur wenn ich präzise und genau und bin im Formgeben – der Form, die von mir ist – dann hat diese Form eine Chance den Anderen zu berühren. Ich muss – was deine Frage bezüglich der Form und der Antiform angeht – präzise sein und gleichzeitig muss ich masslos sein. Masslosigkeit ist nicht Formlosigkeit so wie auch Präzision nicht alleine Form ergibt. Präzision und Masslosigkeit ist das Geheimnis des Kunstmachens. Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten mit diesem Geheimnis in Kontakt zu kommen. Ich bin davon überzeugt, aber ich will das nicht nachmessen und nicht überprüfen. Wer erlaubt sich, zu sagen, dass die Photo-Touristen im Louvre vor der “Mona Lisa” nicht auch die Möglichkeit haben von der Kunst berührt zu werden? Ich habe in meinen letzten “Präsenz und Produktion-Projekten” immer eine Bar oder einen Imbiss integriert, nicht als “Service” oder als “Dienstleistung” oder um ein “Bedürfnis zu befriedigen”, sondern weil ich nicht ausschliessen will, dass auch die Person die nur an der Bar steht oder nur am Imbiss sitzt, von der Kunst berührt werden kann. Das wird manchmal falsch verstanden, aber darum geht es, wenn ich sage: Ich bin Künstler – ich bin kein Sozialarbeiter. Im Arbeitsprozess von Kunst im Öffentlichen Raum gibt es nichts Schöneres und Überzeugenderes als von der Kunst – als Kunst – auszugehen, denn es ist genau das Insistieren auf der Kunst, die beim Anderen die Türen öffnet für das, was er nicht kennt und für das, was er nicht will. Kunst kann etwas erreichen, was man nicht will. Das ist das Einzigartige an der Kunst und der Philosophie. Deshalb mache ich keine Unterschiede zwischen den, wie Du sagst, “rezipierenden Partizipierenden”, dem “Mitarbeiter”, dem “Barsteher” oder “Imbiss-sitzer”. Nur keinen Unterschied zu machen, ist für mich zu verantworten, denn beim Prinzip der GLEICHHEIT, an das ich glaube, geht es darum bei allen Unterschieden keinen Unterschied zu machen. Darauf zu bestehen, ist nicht immer einfach, aber gerade wenn ich in meiner Arbeit diese Behauptung aufrecht erhalte, führt dies zu den wunderbarsten und verzauberndsten Augenblicken. Diese Momente – so spärlich und kurzlebig oder so prekär sie sind – gehören für mich mit zum Allerschönsten in der Arbeit.